Hafer - für Verwurzelung

Wie es sich anfühlt, verwurzelt zu sein, habe ich in der Anza-Borrega-Wüste nahe San Diego in Kalifornien zum ersten Mal erfahren. Ich war auf einer Heilpflanzen-Exkursion. An einem Bachlauf in einem Canyon entdeckten wir eine kleine Oase. Hier raschelten die herzförmigen Blätter der Pappeln im vom Bach abgekühlten Wind und spendeten uns ersehnten Schatten. Große Findlinge säumten den Bach und in den Steinen waren faustgroße Aushöhlungen zu erkennen. Sie stammten von den Ureinwohnern dieser Gegend, den Kumeyaay und Cahuilla, die auf den Findlingen Eicheln vermahlt und dabei über die Generationen Aushöhlungen hinterlassen hatten. An einem dieser sogenannten „Morteros“ saß ich auf einem der Findlinge, schaute auf den Bach und spürte das Glück, das dieser Ort festhielt. Ich hörte Frauenstimmen singen und im Wasser plantschende Kinder lachen. Ich spürte eine Unbeschwertheit und Freude, die mich zutiefst rührten. Dieser Ort erinnert sich noch heute an die Menschen, die ihn vor über drei Jahrhunderten liebten.

Die Ureinwohner und ihr Ort hatten eine tiefe Beziehung miteinander, die heute noch als Glücksgefühl spürbar ist. Dazu musste ich nicht hellsichtig sein. Es war einfach da. Leider sind diese Oasen aus einer anderen Zeit, an denen man solche Erfahrungen machen kann, auf unserer Welt sehr selten geworden. Wir können das ändern, wenn wir wollen. Dazu können wir uns an unseren eigenen, europäischen Ur-Ahnen orientieren, die in ihrer Haltung gegenüber der Natur von indigenen Völkern gar nicht so verschieden waren.

Wer sich verwurzeln möchte, der kommt meines Erachtens nicht drum rum, sich in gewisser Weise selbst als Pflanze zu verstehen. Damit haben wir Menschen aus der sogenannten Zivilisation oft ein Problem, denn wir sind in eine Gesellschaft hineingeboren, die vom Naturphilosophen Aristoteles geprägt ist. Er hat die Natur aufgeteilt in niedere Pflanzen und höhere Säugetiere, mit dem Menschen an der Spitze seiner sogenannten „Stufenleiter der Natur“. Wir stellen uns als Mensch über Tiere und Pflanzen. Damit haben wir uns losgelöst von der Erde und können nur noch Luftwurzeln in Wunschvorstellungen bilden. Es gibt noch andere unbewusste Glaubenssätze, die uns an einer echten Verbindung mit der Erde hindern.

Ohne Verwurzelung in der Erde sind wir auf der Flucht und nicht wirklich hier. Das bemerken wir an einer nervlichen Anspannung und Rastlosigkeit, die sich bis in die völlige Erschöpfung steigern kann. Wir leben im permanenten Notfall-Modus und können von Unbeschwertheit als einem dauerhaften Lebensgefühl nur träumen. Genau dann kann uns eine uralte Nahrungs- und Heilpflanze unserer Ahnen zu Hilfe kommen: Der Hafer. Er ist das beste Mittel für einen langfristigen Wiederaufbau des Nervensystems. Der Hafer fängt uns als Medizinpflanze auf, wenn wir keine Wurzeln haben und er gibt uns die Kraft, unsere Wurzeln zu entwickeln. Der Hafer als Nahrungspflanze verbindet uns mit unseren Ur-Ahnen, die ihn vor tausenden Jahren als Lebensmittel hochschätzten. Davon zeugt beispielsweise das schottische Märchen „Die geborgten Haferflocken“, indem die Feenkönigin eine Schale Haferkörner mit Goldstücken aufwiegt.

Mit all seinen Eigenschaften ist der Hafer eine wichtige Medizinpflanze für unsere Zeit, in der eine echte Verwurzelung des Menschen mit der Erde wieder lebensnotwendig wird. Möge die ganze Erde für kommende Generationen das sein, was ein vergessener Ort in der Wüste für mich war.

Hafer als Medizin

Wenn du Hafer (Avena sativa) als Pflanzenmedizin für dich verwenden magst, dann nimm am besten die frischen Haferkörner im Milchstadium. Kurz vor der Reife sind die Körner noch weich und geben bei Druck mit den Fingern einen milchigen Saft ab. Reife Haferkörner oder Haferstroh haben eine wesentlich geringere medizinische Wirkung.

Hafer nährt, stärkt und tonisiert dein gesamtes Nervensystem und füllt die leeren Speicher wieder auf. Er ist besonders geeignet für dich, wenn du dich emotional zerbrechlich fühlst oder Kleinigkeiten dich irritieren und du leicht gereizt reagierst. Du kannst den Hafer auch bei chronischem Erschöpfungssyndrom verwenden, bei nervösem Herzrasen, Angstzuständen, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom und unterstützend in depressiven Phasen.

Der Hafer verbessert die Durchblutung im Gehirn, vergrößert die Aufmerksamkeitsspanne und die kognitive Funktion. In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird er als reizlinderndes Mittel bei Yin Mangel eingesetzt.

Allerdings ist der Hafer ein langfristiges Mittel zum Aufbau. Du brauchst etwas Geduld mit ihm.

Hafertinktur selbst machen

Hafer im Milchstadium kannst du nicht kaufen. Aber keine Sorge, du kannst ihn ganz einfach selbst anbauen, auch ohne Garten. Bestelle einfach die Samen und sähe sie in einem oder in mehreren Töpfen aus. Stell die Töpfe in die Sonne, halte die Erde etwas feucht und warte ab. Wenn Dein Hafer anfängt, die Körner zu entwickeln, prüfe ab und zu, ob er schon milchig ist. Das Milchstadium dauert ungefähr eine Woche, in der Du ernten kannst.

Die Körner im Milchstadium gibst Du zusammen mit geschmacksneutralem Wodka (ca. 30%) in den Mixer und zerkleinerst alles. Für einen Teil milchigen Hafer nimmst du zwei Teile Alkohol, z.B. 100 gr Hafer auf 200 ml Alkohol. Das Gemisch lässt du vier Wochen im Schrank ziehen und schüttelst es regelmäßig. Danach nimmst du ein Sieb, legst es mit einem sauberen Handtuch aus und seihst das Gemisch dadurch ab. Nimm täglich drei Mal oder nach Bedarf einen Teelöffel ein.

Als alkoholfreie Alternative kannst du auch einen Teil milchigen Hafer mit zwei Teilen Glycerin-Wasser-Gemisch - 60% Glycerin und 40% Wasser - ansetzen.

Hafergeschichten

Wusstest du, dass der Hafer eine der ältesten Getreidearten ist und im Mittelalter ein Grundnahrungsmittel der armen Leute war? Der Anbau begann wahrscheinlich ab 2.500 v.u.Z., wobei wilde Hafersorten noch früher genutzt wurden. Die Germanen liebten den Hafer, besonders als Brei. Darüber soll sich der römische Historiker Plinius (23-79 n.u.Z.) lustig gemacht haben: „Wie kann man freiwillig Tierfutter essen?“. Trotzdem blieb der Haferbrei im nördlichen Europa beliebt, sogar als Festmahl auf Hochzeiten. Das hat der niederländische Maler Pieter Bruegel in seinem Gemälde "Die Bauernhochzeit" aus dem 16. Jahrhundert verewigt.

Heute begleitet uns der Hafer schon von klein auf, beispielsweise als leckeres Müsli. Das haben wir einer Schweizer Sennerin zu verdanken. Sie kredenzte um 1900 dem Bergwanderer Max Bircher-Benner auf einer Alp ein feines Hafergericht. Der Arzt war so begeistert, dass er daraus das "Birchermüsli" für eine seiner Patientinnen entwickelte.

Wenn Du noch mehr über den Hafer und über eine echte Verwurzelung in der Natur erfahren magst, dann schaue mein Seminar “Medizinpflanzen für eine neue Zeit” an.

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